Mehr Art als Mund – JEANS FOR JESUS

Der Ort: Bern, die Zeit: Eins nach Durchbruch. Auf dem schwierigen zweiten Album müssen Jeans for Jesus das Lob bestätigen, das vor 2013 über ihre „Music for the post cool Kids“ herniederging. Sie geben sich alle Mühe!

Die Bundesstadt kommt kaum zur Ruhe. Wegen demonstrierenden Reitschülern, natürlich. Aber auch auf der musikalischen Bühne. Auf „Love“ suhlte sich Kuno eben noch im (fiktiven) Trennungsschmerz, nun feiern Jeans for Jesus mit „Pro“ die Unverbindlichkeit: „Fühl di frei“, beschwört der eine Song, man solle sich „dr Sunne“ zuwenden ein anderer. Egal, aus welcher Richtung diese grad scheint.

Da prallen Generationen aufeinander. Während die einen in ihrer Jugend die Welt zu verändern suchten, ist sie für die anderen nur einen Tipp aufs Handydisplay entfernt. Wo Züri West als Relikte einer Bewegung gelten, repräsentieren J4J einen Jahrgang, der sich am Convenienceregal mit Ideologien eindeckt, fertig verpackt und mit Ablaufdatum versehen.

Ebenso freizügig gehen die Jungspunde mit Stilen und Verweisen um. Sie reimen „Bot“ auf „Gott“, zitieren Neil Young und House of Pain. Sie haben Tolstoi gelesen und im Französisch-Unterricht gut aufgepasst („Europe“, „Les filles“), jagen Stimmen durch den Vocoder und versehen ihren wilden Soundmix mit holpernden Flows von internationalem Touch.

Und ja, die Kinder der Konsumgesellschaft stehen dem Hedonismus kritisch gegenüber. Und formulieren das mit einer Selbstironie, hinter welcher der Ernst manchmal schwer zu erkennen ist.

Der Nachfolger des hochgelobten „Estevayeah“ erscheint beim Branchenprimus Universal. Das zeigt, in welchen Dimensionen die Combo denkt. Eingespielt hat sie die Platte in Atlanta statt bei Camenzind oder Dodo und entstanden ist ein Bollwerk, welches die auf Netflix und Youtube programmierte Aufmerksamkeitsspanne arg strapazieren.

Trotz, oder gerade wegen all der Kreativität, die dahintersteckt. Trotz all der Ahs und Uhuhs, des Muts und der Ambitionen Wenn 18 Songs vorüber sind, hängt die Frage im Raum: Bleibt etwas hängen? Oder verdunstet „Pro“ wie Trockeneis über der Tanzfläche, wie ein Tweet, der auf der Timeline tiefer und tiefer nach unten rutscht?

Oder im (auch) in Bern gern bemühten Fussballjargon: Züri West agieren konservativ aus einer soliden Defensive. Jeans for Jesus hingegen spieen ein kreatives, zuweilen hektisches Klang-Tiki-Taka. Wir zweifeln etwas daran, dass dieses in die Champions Leage führt.

5/10

LIVE: 14.4., Dachstock Bern

Marco Rüegg