Zwei The Cure Konzertfilme von 2018 in einer Box. Das bedeutet einmal eine chronologische und einmal eine stilistische Werkschau der grössten Kultband aller Zeiten.

Lösen wir zuerst den kryptischen Titel auf. Diese Box erscheint zum 40ten Geburtstag der Band und beinhaltet zwei Konzerte auf. Je nach Wahl der Version – 2 Blurays, 2 DVDs und 4 CDs. Der  „Anniversary“ Konzertfilm dokumentiert den Auftritt im Hyde Park London von 2018, „Curaetion-25“ den vom 25ten Meltdown Festival in London 2018, welches Robert Smith kuratiert hat.

Die „Curaetion-25“ Setlist wird noch untertitelt mit „From There to Here/From Here to There“.

The Cure spielen sich hierbei chronologisch vom ersten Album „Three Imaginary Boys“ nach heute und wieder zurück. Also hören und sehen wir 2 Songs pro Album. Das ist zu Beginn gleich besonders reizvoll . Dem Titelsong des Debuts folgen die herausragenden Klassiker ihrer dunklen Tage „At Night“, „Other Voices“ und „A Strange Day“ und das live selten gespielte, schräge „Bananafishbones“ von ihrem wohl exzentrischsten Album „The Top“. Dann wird die Songauswahl etwas absehbarer, abgesehen vom überraschenden und grossartigen „Like Cockatoos“. Leider kommt das auf dem 2004er Album wütend antifaschistische „Us Or Them“ hier nicht ganz so feurig daher, weil sich Smith stimmlich eine kurze Verschnaufpause gönnt.

In der Gegenwart angekommen, finden wir zwei neue, unveröffentlichte Songs namens „It Can Never Be The Same“ und „Step Into The Light“.

Diese klingen nicht wirklich spektakulär und könnten gar Outtakes von „4:13 Dream“ sein. Doch wollen wir deswegen keine voreiligen Schlüsse auf das angekündigte neue Album ziehen. Dazu sind The Cure zu unberechenbar. Darob macht sich die zweite Hälfte des Sets auf in die Vergangenheit und feuert gegen Ende aus allen Rohren mit „Shake Dog Shake“, „One Hundred Years“, „Primary“ und „A Forest“. Beendet wird die Party ausgelassen mit „Boys Don’t Cry“, welches passend mit einem VHS Filter nachbehandelt wurde und im 4:3 Format zu geniessen ist.

Der zweite Film „Anniversary“ bietet ein konventionelleres Set, dafür ein exzellentes Bühnenbild. Inszeniert im Londoner Hyde Park, steht die Bühne vor und zwischen riesigen Bäumen, deren Äste und Laubwerk sich um und über sie drängen. Regie führt Tim Pope, der seit 1983 jedes The Cure Musikvideo aufgenommen hat. Und wer erinnert sich nicht an seinen eigenen Überhit „I Want To Be A Tree“? Dieses Set feiert die Vielseitigkeit der 40jährigen Bandgeschichte. Es kommen die Hits „Lovesong“, „Just Like Heaven“ und „Lullaby“ zum Zuge. Aber auch genug Happen für die Cure Nerds wie „Burn“, „If Only Tonight We Could Sleep“ oder „Play For Today“. Der Höhepunkt ist klar die Schlusscombo „Jumping Someone Else’s Train – Grinding Halt – 10:15 Saturday Night“ von ihrer allerersten Platte.

Auf beiden Bühnen steht hier die Besetzung Robert Smith, Simon Gallup, Roger O’Donnell, Jason Cooper und Reeves Gabrels.

Ganz im Gegensatz zum längst überholten Bandimage gibt Smith den launig kalauernden Conferencier. Seine Stimme ist nach 40 Jahren auf der Bühne so kraftvoll wie eh und je. Positioniert sich jedes Bandmitglied konsequent auf seinem Platz, nutzt Simon Gallup umtriebig jeden Quadratmeter der Bühne. Sein riffbetontes Basspiel mit diesem mächtigen Klang ist die Stütze jedes Cure Songs und macht ihn zu einem der unterschätztesten Rockbassisten überhaupt (damit dies mal wieder gesagt ist!).

Reeves Gabrels, in den 1990ern bei Tin Machine und David Bowie am Werk, ist aktuell der perfekte Gitarrist für die Band. Er versteht Punk und Kunst und Pop gleichermassen. Was in einer 40jährigen The Cure Werkschau gefragt ist – Zurückhaltung & Freakout, Schönheit & atonaler Krach – schüttelt Gabrels alles souverän aus dem Ärmel. Man kann auf seinen künftigen Beitrag und das erste The Cure Album mit ihm nur gespannt sein. Ihr Bewunderer David Bowie lächelt sicher jetzt schon zufrieden, wo immer er nun ist.

Fehlen tut dem Ganzen nur leider eine Art Dokumentation oder sonstiges Backstagegeplapper, wie es bei den Filmen „Trilogy“ oder „Play Out“ vorhanden war. Einblicke in die Arbeit und Psyche dieser ausserordentlichen Truppe waren immer willkommene Unterhaltung.

Exzentrisch englischer Kunstrock 9/10

Marc Flury