Wie gross ist die Nacht? Und wie können wir das messen? Dieser Kernfrage gehen Peter Kernel auf ihrem neusten Werk «The Size Of The Night» nach. Entstanden ist eine Platte, die ihre geistigen Eltern hervorragend abbildet.
«Auf diesem Album probieren wir zu akzeptieren, dass wir sensible Menschen sind, gleichzeitig aber auch ziemliche Arschlöcher sein können. Und das ist voll okay so»: Jene These bringt das vierte Werk Peter Kernels auf den Punkt. Die Band um die Kanadierin Barbara Lehnhoff und den Schweizer Aris Bassetti bewegt sich durch musikalische und performative Bereiche, die immer jenseits von gut und böse, klar und gaga, sanft und wild pendeln.
Stets etwas fern klassischer Harmonien, rudimentär und doch ausgeklügelt, macht diese Platte mit jedem Hördurchgang mehr Spass. Bei Peter Kernel gefällt, dass sie wie ihre Musik zwischen Stuhl und Bank stehen. Der Lebensmittelpunkt im Tessin, ausgedehnte Tourneen im Ausland, an den Schweizer Szenieanlässen herrlich unpräsent: Diese Gruppe ist als europäische und nicht als schweizerische zu verstehen. Wer Lehnhoff und Bassetti an Konzerten kennenlernt, hat mit zwei hochsympathischen, anfangs scheuen Menschen zu tun – die sich auf der Bühne aber in grinsende Dämonen verwandeln können. Spätestens dann ist da auch diese Dringlichkeit zu verspüren, die jeden Live-Auftritt der Truppe zu einem Spektakel sondergleichen macht.
«The Size Of The Night» schnauft jenen Spiritus: Viele Songs klingen orientalisch, glatt kommt fernöstliches Viertelton-Feeling auf, konträr zur europäischen Halbton-Ganzton-Musiklehre. Mal gibt’s rohen Rock, dann buddhistische Balladen oder irrsinnigen Indie. Immer durchtränkt mit dem (Sprech)gesang Lehnhoffs, die diesen auch solo als Camilla Sparksss pflegt, und den italo-englisch-slangigen Zeilen des gebürtigen Ticinese Bassetti. Dazu ein Sammelsurium an Synthieklängen, Effektgeräten und hochversierten Schlagzeugspuren. Gegensätze, so sensibel wie arschig, weil filigran und saugut: Grande magia!
9/10
Stoph Ruckli