Wilco kehren mit «Cruel Country» zu ihren Wurzeln zurück. Diese liegen im Americana und (Alternative-) Country und so ist der Albumtitel dann nicht nur als Bezugnahme auf Amerika, sondern auch auf das musikalische Genre zu verstehen. Wem bei dem Gedanken an letzteres die Galle hochkommt, kann sie getrost wieder runterschlucken. Cruel Country ist zu einer beeindruckend schonungslosen Auseinandersetzung mit den USA geworden.
Mit Uncle Tupelo trug Jeff Tweedy einst massgeblich dazu bei, dass die schreibende Gilde die Genre-Schublade «Alternative-Country» erschuf. Als Wilco-Mastermind entfernte sich der Amerikaner später mit wechselnder Besetzung immer weiter von seinen musikalischen Wurzeln, auch wenn er sie dabei nie verleugnete. Nun also Back to the Roots. Trotz -oder gerade wegen – der Zeiten, in der amerikanische Heimatliebe vor allem Kummer verursachen dürfte. Der zweideutige Titel des Albums könnte passender also kaum sein. Dabei sollte gemäss Jeff Tweedy ursprünglich ein Art-Rock-Album entstehen. Covid 19 kam dazwischen und nach der Zwangspause, stand der Sinn plötzlich nach einfachen direkten Songs. Songs, die auf eine Weise nach Country klingen, wie kaum je zuvor in der langen Bandgeschichte.
Ausnahmen wie das fast achtminütige cineastisch anmutende «Many Worlds» bestätigen die Regel, sind aber dünn gesät. Musikalisch also eher schlicht gehalten, sind es in erster Linie die Lyrics, welche «Cruel Country» zu einem weiteren Meilenstein in der Bandhistorie machen. Der äusserst kritische und gleichzeitig liebevolle Blick auf Amerikas Gegenwart und dessen Geschichte, die erwachsenen Lovesongs, Tweedys Auseinandersetzung mit seiner eigenen, schwierigen Biographie: hier ist ein grosser Lyriker am Werk. Dabei wirkt das fast 80 Minuten dauernde Werk wie aus einem Guss.Ein richtiges Album, das am Stück gehört werden will und trotz seiner Schlichtheit enormes Wachstumspotential aufweist.
8/10
Kaspar Hunziker