Wenn die Tocos ein neues Album ankünden, kommt seit Jahren die Angst hoch, dass mal gründlich was daneben geht. Und wie immer können wir auch beim 13. Studioalbum aufatmen: Selbst wenn die Hamburger mit Deutschem Schlager flirten, überschreiten sie nie die Grenze zu Kitsch und Peinlichkeit.

Zugegeben, der grelle Titel auf schwarzem Grund trug beim Schreibenden nicht eben zur Beruhigung bei. Aber (natürlich) zeigt sich schnell: Sowohl Albumtitel als auch gleichnamige Single sind metaphorisch zu verstehen. Das wird spätestens klar bei der Zeile «Nie wieder Krieg, in Dir, in uns, in mir». Hier geht es um alltägliche Kämpfe.

Die Hamburger sagten auf einer grossen Social Media Plattform denn auch Folgendes: «Das Album versammelt zwölf Mikrodramen über Menschen an den dunkelsten Orten, schenkt aber auch Hoffnung und Liebe. Alles, was es dazu braucht, ist euer Gehör». Wohl wahr. Aufmerksames Hinhören wird belohnt.

Vor grossen Phrasen hatten Tocotronic bekanntlich noch nie Angst. Vor verschrobenen, kaum zu entschlüsselnden Zeilen auch nicht. Je länger je mehr können sie jedoch vor allem eines: augenzwinkernde Dichtkunst. «Ein Lichtstrahl, der mich blendet, dringt aus meinem Tiefkühlfach. Dort liegt eine Pizza, die ich aufzupeppen versuch. Mit Kräutern der Provence, hab’ ich keine Chance» singt Dirk von Lowtzov in «Ich hasse es hier» aus der Perspektive des im gemeinsamen Haushalt Zurückgelassenen.

Musikalisch gibt es Selbstzitate aus der Zeit von KOOK («Nachtflug»), Schunkelpop – gerade noch diesseits der Kitschgrenze – in «Liebe» und mit «Ich tauche auf» (Duett mit Soap&Skin) eine der schönsten Balladen des noch jungen Jahres. Aber die Hamburger können auch vielschichtige Streicher-Arrangements, wie sie in «Ein Monster kam am Morgen» beweisen. So bleibt die unter dem Strich wenig überraschende Erkenntnis: Hier werkelt eine Band weiter erfolgreich an ihrem eigenen Denkmal.

9/10

LIVE: 15.06.22 im X-TRA Zürich präsentiert von piratenradio.ch

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Kaspar Hunziker