White Album? Sgt. Pepper? Abbey Road? Welches Album zeigt uns die Beatles auf ihrem kreativen Zenit? Revolver natürlich! Und dieses Album erscheint dieser Tage in einer 5CDs umfassenden Super Deluxe Version, zusammengestellt und neu gemastert von Giles Martin.

Mitte der 1960er Jahre war es den Beatles genug mit Beatlemania um die lustigen Pilzköpfe und dem Geschrei an ihren Konzerten. Sie erachteten gerade Bühnenauftritte als mittlerweile sinnlos, da die damalige Lautsprechertechnik gegen zehntausende, ohrenbetäubend durchdrehende Fans keinen Stich hatte. So richteten sie ihre Aufmerksamkeit ins Studio. Aus den ewig lächelnden, allgegenwärtigen Liebesliederlieferanten wurde ein Quartett ernsthafter Studiotüftler. Oder Quintett, denn ihr Produzent George Martin lief mit zu Höchstform auf.

Gewiss, bereits  im Jahre zuvor war auf „Rubber Soul“ eine Abkehr von unverbindlichen, netten, charmanten Popsongs auszumachen. Doch 1966 war das Jahr der Zäsur. Zwar klingen „Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ opulenter, das weisse Album ausufernder und „Abbey Road“ abgeklärter, doch brauchte es erst „Revolver“ als Neustart, um ihr vielgelobtes Spätwerk zu verwirklichen. Statt wie früher an einem Nachmittag vor einem Mikrofon alle Songs für eine Platte rauszuhauen, nahmen sie sich eine bis dato unerhörte Studiozeit von vier Monaten.

Diese Platte ist der Inbegriff eines „Transitional Album“

Einige Songs wie „And Your Bird Can Sing“, „Doctor Robert“ oder „I Want To tell You“ tragen in sich noch eine Leichtigkeit der ersten Platten. Doch durch die Produktion zeugten auch die von einer Zukunft der musikalischer Innovation. Spätestens hier zementierten die Beatles ihren Ruf als bis heute wichtigste Popband überhaupt. Jeder Song war ein aufmerksam komponiertes und arrangiertes Einzelwerk. Ein Musikalbum war kein Sammelsurium gleichklingender Songs mehr, deren einzige Funktion es war, eine Band einem Stil und einem Image zuzuordnen.

Big Band Bläsersätze treiben „Got To Get You Into My Life“ voran, George Martin verpasst „Eleanor Rigby“ eine fulminante Streicherorchestrierung, Harrison packt auf „Love You To“ zur allgemeinen Verblüffung in der Popwelt zum ersten Mal die Sitar aus, „Good Day Sunshine“ nimmt die „Ol’fashioned Waltz“ Eskapaden vorweg, mit welchen uns später Freddie Mercury so gerne unterhielt.

Und dies alles von Hand eingespielt und gemixt auf unfassbarerweise lediglich vier Aufnahmespuren. Wie zum Henker konnte „Tomorrow Never Knows“ so klingen? Ja, überhaupt entstehen? Spätestens in diesem, dem letzten, Song des Albums musste das Studio gestöhnt und geraucht haben. Selbstgebastelte Tapeloops, rückwärts abgespielte Gitarrenspuren und das Dröhnen eines einzigen Akkords sprengten alle damaligen Konventionen. Gäbe es Pink Floyd ohne diesen Song?

Auch textlich liessen die Beatles den Guddelaunepop hinter sich. In „Taxman“ beschwert sich George Harrison über die Sitte des Staates, sich die Einnahmen der Künstler/innen zu krallen. In „She Said She Said“ erzählt John Lennon von tiefsten, ja todessehnsüchtigen Depressionen seiner Protagonistin.

Nun ein paar Worte zu dieser Super Deluxe Version

Im Unterschied zu früheren Neuveröffentlichungen wurde hier nicht nur geremastered. Man darf gar von einem neuen Mix sprechen. Das exzessive Stereobild (zbsp alle Musik links, alle Stimmen rechts) hat Giles Martin, der Sohnemann Georges, entschärft und in ein zeitgemässes Hörbild gesetzt. Mit Hilfe einer de-mixing Technik, die kürzlich Peter Jacksons Team für seine „Get Back“ Restaurierung entwickelt hat. Es sind nun auch die im Originalmix etwas versunkene Details klar hörbar. Der originale Monomix des Albums ist ebenfalls enthalten wie zusätzliche Session Aufnahmen und Demos, welche die einzelnen Musiker der Band vorstellten.

Das besondere Schmankerl der Bonus CDs ist die Inklusion der Songs „Rain“ und „Paperback Writer“, natürlich ebenfalls neu gemixt. Diese beiden Titel waren mit ihrem frischen Klangbild quasi der Übergang zum Übergang. Sie entstanden und erschienen kurz vor „Revolver“ als Singles und fanden sich nicht auf der Platte. Die Band hätte es als Betrug verstanden, dieselbe Musik nochmal zu verkaufen. Das waren noch Zeiten …

Avantgarde Pop, die in jede Sammlung gehört!

11/10 Punkte!

Marc Flury