Die Band, die niemals schläft, ist auf ihrem 23. Album (wenn man nur die regulären zählt!) so aufregend wie eh und je. Einmal mehr ist es ein Gewitter aus klassischem und progressivem Rock mit Indie-Attitude geworden. Inklusive ihren Markenzeichen: exzessiver instrumentaler Freakout und unwiderstehliche Melodiebögen.

Zur Abwechslung gibt es nur ein Einzelalbum. Bei Motorpsycho sind Doppel- und manchmal gar Dreifachalben ja eher die Regel als Ausnahme. Auf The Crucible aber reicht die Intensität dieser 40 Minuten Spielzeit verteilt auf drei Songs vollends. Die Platte kann als Fortsetzung zu The Tower von 2017 angesehen werden, nicht zuletzt dank Coverart und der  Thematik in den Texten. Doch wo sich beim Vorgänger auch mal Entspannung durch lieblich folkige Songs einstellte, röhrt der norwegische Motor hier beinahe durchwegs auf Nitro.

Es ist das zweite Album mit Tomas Järmyr am Schlagzeug und er hat sich definitiv eingefunden. Das Trio spielt sich schwindelsicher durch wildeste und selbstverständlich live eingespielte Arrangements. Mitproduziert haben der langjährige Weggefährte Helge Sten von Supersilent und der mehr als renommierte Andrew Scheps, der seine Finger und Ohren zu Diensten gefühlt aller Alben der letzten 20 Jahre gestellt hat (man siehe sich seine Diskograpie an…). War The Tower ein Remineszenz an den Turm zu Babel, bedeutet The Crucible Schmelztopf wie auch Hexenjagd. „It’s not paranoia, we all chose what to believe. If you don’t understand it, you’re easy to deceive“.

Motorpsycho waren früher textlich meistens introvertiert und selbstreflektierend, doch spätestens seit The Tower von 2017 lenken sie ihren Blick besorgt nach aussen, auf eine Welt, in welcher sie Familie gegründet haben und Kinder grossziehen.

Nur drei Songs also: Die ersten zwei dauern je knapp zehn Minuten und dann folgt das 20 minütige Titelstück. Psychotzar  beginnt unverfroren als Black Sabbath Rip-off und kippt im letzten Drittel in King Crimson Gefilde. Macht aber nichts, denn Motorpsycho sind keine Epigonen, sie kopieren ihre Vorbilder nicht. Sie integrieren die Geister von 50 Jahren Rock, Grunge, Metal, Indie, Prog, Folk und Jazz in ihre eigene DNA, verstehen deren Essenz, versehen sie mit ihrer ureigenen Motorpsychedelia und gebären sie neu als schillernde, schreiende Bastarde.

Das folgende Lux Aeterna schmeichelt erst mit weiten, vom Mellotron getragenen Strophen und Refrains und stürzt sich dann in einen Tornado aus aberwitzigem Gitarrengenudel über von der Kette gelassenen Bass und Drums auf Amphetamin bis es wieder zurückfällt in die epische Stimmung des Songbeginns, in der bei Motorpsycho typischen Furchtlosigkeit vor etwaigem zuviel-des-Guten. Denn immer wieder legt die Band noch eine Schippe drauf, wo andere die Instrumente bereits eingepackt haben. Doch gerade da liegt ihre Magie. Wir sprechen hier nicht von langatmigem Gejamme, sondern vom Mut zur Erforschung des Möglichen und darüber hinaus. Kein Wunder, darf die Band seit 25 Jahren auf eine sie kultig verehrende Gefolgschaft zählen.

Und wir sind noch nicht einmal beim Titelstück angekommen. The Crucible selbst legt noch fünf weitere der besagten Schippen drauf. Wir hören einen leicht Loungejazz angehauchten Einstieg, wenn auch mit dem Furor einer langhaarigen Rockband gespielt, und dann eine Verneigung vor klassischem Progrock wie etwa Rush, wenn die akustischen Gitarren und der achtsaitige Bass das eigentliche Stück ankünden. Auch hier nehmen sich die Jungs viel Zeit, doch erkennen sie wie immer den heiklen Punkt zum Wechsel im richtigen Moment. Das Stück wandert fortan durch zuviele Berge und Täler, um hier alle beschreiben zu können.

Und dann, nach zehn Minuten erst, kommt DAS Killer Bassriff, welche andere Bands an erster Stelle der Platte setzen würden. Doch Motorpsycho haben Zeit und Mut und machen Musik, die weder nur noch sofort unterhalten will, sondern nichts weniger als ein Geschenk an alle anspruchsvollen Musikliebhaber/innen ist.

Progressiver Tornadorock 10/10

Marc Flury

Motorpsycho Website

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