Der alte Mann und das Meer. So erzählt uns das Albumcover. Iggy Pop kehrt dem Rocktheater den Rücken zu. Seine 18te Platte ist ein beeindruckendes Werk eines Künstlers, der auch nach 50 Jahren Karriere noch neue Welten und Worte findet.

Iggy fühlt sich also frei. Sollte er doch seit immer, mag man denken. Seine Leben war aber geprägt von Abhängigkeiten: Karriere, Business, Exzesse, Trends, Überleben, Mitmusiker, Erfolgserwartung und mindestens vier Comebacks in 50 Jahren und der Erfolg des letzten Albums „Post Pop Depression“ und die anschliessende Tourerei, das war schon ziemlich anstrengend. Iggy entschloss sich, seinen eigenen Wert zu entdecken und machte „Free“ zu seinem ersten richtigen Soloalbum.

Nicht dass er keine Mithilfe bräuchte. Die Gastmusiker/innen sind eigens ausgewählt. Er kontaktierte Leute, die er durch seine eigene Radiosendung auf BBC6 entdeckt hat. Die sind gekommen, um ihn zurückhaltend spärlich zu begleiten. „Free“ ist kurz gehalten. In 33 Minuten sinniert Iggy über das Alter, das Leben, den Tod, das Ich und das Uns in seiner charmanten Mixtur aus Reife, Ruhe und Schalk.

Gerockt wird so gut wie nie. Nur „James Bond“, „Dirty Sanchez“ und „Loves Missing“ rumpeln lustig daher mit Iggys Witz und Schnoddrigkeit. Interessanter werden die Exkurse in eine Klangästhetik, die man so von ihm kaum gehört hat. „Glow in the Dark“ legt Elektronik, Jazztrompete und -drums über einen 80er Jahre The Cure Bass, „The Dawn“ zitiert die Soundtracks von John Carpenter und in „Page“ scheint David Bowies Stimme in ihn gefahren zu sein. „Free“ erinnert nicht nur deswegen an „Blackstar“. Beides sind kontemplative Alben gereifter Herren, befreit von Rockgedröhns. Poesie und Atmosphäre übernehmen. Passend ist da auch „We Are The People“. Iggy ist ja der letzte Überlebende des befreundeten Dreierbundes Pop, Bowie und Lou Reed. Hier ist dessen Text eines unveröffentlichten Songs von 1970 zu hören.

Es ist eine Auszeichnung jeder grossen Musik, wenn sie überrascht und Aufmerksamkeit verlangt und die gebotene belohnt. Die Kürze des Albums tut ihr Übriges. Kaum ist man so richtig gefangen – von Iggy’s Poesie im Bariton, den raumerweiternden Synthesizern und den klagenden Trompeten – verklingt der letzte Song „The Dawn“ und die Nadel springt wie von selbst zum ersten Song zurück.

Hörbuchpoesie mit exzellenter Musik als Bonus 10/10

Marc Flury